Samstag, 3. Dezember 2011

Willkommen in der Zukunft

Totalüberwachung für Fußballfans bei der EM
Polen will umstrittene Technik einsetzen. „System widerspricht allen Datenschutzbestimmungen“

Polen will bei der Fußball-EM 2012 eine Totalüberwachung in- und ausländischer Fans testen. Dabei soll erstmals das hoch umstrittene Überwachungssystem Indect(Anmerkung: „Intelligent Information System supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environmentzum“) Einsatz kommen, das vom Bundeskriminalamt „wegen seines umfassenden Überwachungsgedankens“ strikt abgelehnt wird. „Unser letzter Stand ist, dass Indect bei der EM getestet wird“, sagte der Düsseldorfer Europaabgeordneter Alvaro(FDP) zur WAZ. Indect wird im Auftrag der EU-Kommission entwickelt. (…) Das System ist in der Lage , sekundenschnell alle optischen und elektronischen Informationen aus Videoaufzeichnungen, Kommunikationsdaten, Handy-Ortungen, sozialen Netzwerken wie Facebook, Internetseiten und Bevölkerungs- und Polizeidaten zu sammeln, die über eine „auffällige“ Person weltweit verfügbar sind. Gleichzeitig sollen Fangesänge mit Audiosensoren abgehört werden. Indect koppelt alle Daten und entscheidet selbstständig, ob eine weitere Überwachung des Kandidaten-etwa per Videodrohne-nötig ist. Als auffällig gelten bereits Menschen die im Aufnahmefeld einer Stadionkamera schnell laufen. „Das Vorgehen widerspricht allen Datenschutzbestimmungen und ist in Deutschland eindeutig verfassungswidrig“(Anmerkung: Auch in den Vereinten Staaten von Europa?), sagt der Europaabgeordnete Alvaro. Das EU-Parlament will deshalb den zuständigen Kommissar vors Plenum zitieren.
(WAZ vom 3.12.11)
  „(…) Das System soll also sehen können, in welchem Verhältnis Menschen zueinander stehen, ob sie zur selben Familie gehören oder zusammen im Gefängnis gesessen haben. Zusätzlich entwickeln die Forscher für den künstlichen Wächter eine Suchmaschine, die Dokumente oder Bilder einer Person im Netz findet und relevante Stellen markiert.
Wann im Einzelfall welches der Organe Indects aktiv werden soll, ist noch völlig unklar. Einen Polizeieinsatz selbst auslösen darf der künstliche Polizist allerdings nicht. Zumindest in Deutschland schließt das Gesetz "automatisierte Einzelentscheidungen" aus. Im Klartext: Die Maschine darf niemanden festnehmen lassen. Als Mund dient deshalb eine Software, die echte Polizisten und Wachmänner alarmiert, sobald ihr künstlicher Kollege "abnormales Verhalten" erkennt.
Mit der Definition von "abnormalem Verhalten", das für Indect die Grundlage jeglicher Aktion bildet, tun sich die Projektverantwortlichen indes schwer. Deshalb haben sie Polizisten und Überwachungspersonal befragt, was abnormal sei. "Herumlungern" oder "sich umschauen" hielten die Beamten für Hinweise auf gefährliche Vorhaben, "nach dem Spiel im Stadion sitzen bleiben" oder "zu lange neben einem Auto stehen". Manchmal ist es ein plötzlicher Richtungswechsel oder lautes Geschrei. In einem Dokument demonstrieren die Forscher, wie das System jemanden erkennt, der bei Rot über die Ampel geht.
"In erster Linie bedeutet abnormal natürlich einen Hinweis auf kriminelles Verhalten", sagt Patrick Hasenfuß von der Firma Psi Transcom, die für Indect die technische Plattform liefern soll, die alle Informationsquellen verknüpft. "Das Erkennen von ungewöhnlichen Situationen führt zunächst dazu, dass ein Mensch sich das ansieht", sagt Hasenfuß. "Da ist keine automatische Verurteilung angeschlossen."
Psi Transcom ist spezialisiert auf Software, die U-Bahnhöfe und den öffentlichen Nahverkehr steuert. Hasenfuß hofft, mit dem System automatisch Brände zu erkennen. Oder ob jemand im Gleisbett liegt und Hilfe braucht. Oder ob er eine Schusswaffe trägt. Die Nähe zu Universitäten macht es für die Industrie verlockend, bei Indect mitzuarbeiten.
"Die EU-Kommission möchte uns mit dem Projekt Zugang zu Forschungseinrichtungen und Anwendern verschaffen", sagt Hasenfuß. Über Jahre hinweg könne man so beobachten, was an Hochschulen gelehrt werde "und wie technologische Weiterentwicklungen aussehen können".
Wo Indect hinführen soll, fragen sich mittlerweile auch einige EU-Parlamentarier. "Das ist nicht nur ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, der Einsatz von Indect würde unsere Gesellschaft von den Füßen auf den Kopf stellen", sagt der Europaabgeordnete Alexander Alvaro von der FDP. Die Tragweite einer Rundumüberwachung sei von keinem Verantwortlichen ausreichend berücksichtigt worden, meint der FDP-Innenexperte.
Zudem arbeite Indect in völliger Intransparenz. Zwar stellt das Konsortium online zahlreiche Dokumente über die Einzelkomponenten, wie etwa die Drohnen oder die Gesichtserkennung, zur Verfügung. Doch in welcher Phase sich Indect befindet, ob und wie das System bereits getestet wird und wie die Einzelteile genau zusammenarbeiten, ist nicht ersichtlich. Es gibt weder eine offizielle Telefonnummer noch einen Pressesprecher. Auch steht in den Dokumenten nicht, wann ein Einsatz dieser Technik rechtlich und moralisch gerechtfertigt wäre.(…)
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar wünscht sich daher für Sicherheitstechnik Exportrestriktionen, wie sie für Waffen gelten. Auch Schaar versuchte, sich über Indect zu informieren - bei der Uni Wuppertal sei er damit "ziemlich gescheitert". "Alle Maßnahmen der sogenannten intelligenten Überwachung zielen darauf ab, aus einem bestimmten Verhalten Gefahren abzuleiten", sagt Schaar. "Aber Grundlage dafür ist immer die automatische Überwachung völlig normalen Verhaltens. Das können banale Dinge wie die Gehrichtung sein oder ob man schwitzt. Das sollte man sich bewusst machen."“
(http://www.sueddeutsche.de/wissen/europaeische-ueberwachungstechnologie-werkzeug-fuer-diktatoren-1.1223440)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.